Der verrückte Schornsteinfeger

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Zum 174. Jahrestag der Ersteigung der Festung Königstein durch den Schornsteinfegergesellen Sebastian Abratzy durch einen Felsspalt erinnern wir mit diesem Gedicht von Jana E. Hentzschel an dieses kuriose Ereignis:

Ein Schornsteinfeger ist‘s gewohnt,
hinaufzusteigen, wenn sichs lohnt;
ihn stört nicht Höhe, Enge, Schmerz –
er klettert gerne himmelwärts.

Ausschnitt einer Postkarte (um 1900) mit dem Porträt Abratzkys – Gesamtansicht der Postkarte: siehe unten

Und einer ist nun ganz vermessen.
Er hat noch nie viel Geld besessen
und steht im März im Sonnenschein
am Fuß der Festung Königstein.
Nicht zahlen kann er’s Eintrittsgeld,
was ihm natürlich nicht gefällt,
so bleibt versperrt der Haupteingang.

„Doch könnte ich auch hier entlang?“
Er sieht nen Spalt im Felsgestein,
der nicht zu groß und nicht zu klein
und gradewegs nach oben führt.
Im Innern er ein Kribbeln spürt.

„Im Riss hinauf, was mir ja eigen,
um dort die Brustwehr* zu besteigen.
Und oben dann mit Jubelpose,
zerzaustem Haar, zerriss‘ner Hose …
Wie würden wohl die Leute gaffen,
wenn ich den Aufstieg könnte schaffen.
Und freilich gäbe es zum Dank
Bewunderung und Speis und Trank.“

Ansicht des Felsspalts, durch den der Schonsteinfeger Abratzky die Festung Königstein erstieg

Ansicht des Abratzky-Kamines vom Patrouillenweg

Er stellt sich seitlich in den Spalt
und findet den gewohnten Halt.
Nun steigt er hoch wie im Kamin:
Mit Rücken und mit beiden Knien –
so drückt er sich im Riss hinauf
und hat auch schnell nen guten Lauf.

Nach über einer vollen Stunde
(mit Atemnot und trocknem Munde)
zwickt ihn ein leichter Krampf im Bein,
drum muss ein Päuschen erst mal sein.

Sehr schön die Sicht, die er nun hat,
rechts unten sieht er Fluss und Stadt.

Dann geht’s erholt, mit neuer Kraft
(die Hälfte ist bereits geschafft)
nun immer höher, immer weiter,
mal eng der Spalt, mal etwas breiter.
Nicht mehr so schnell, wie zu Beginn,
doch kommt er vorwärts – immerhin.

Ne weitre Stunde hoch hinaus,
dann ist die Reise plötzlich aus.

So kurz vorm Ziel ist er gescheitert,
weil sich der Spalt jetzt sehr erweitert.
Die Brustwehr wölbt sich über ihm,
unmöglich sich dran hochzuziehn.

Er sieht sich um. Erst in die Tiefe;
das ist, als ob der Tod ihn riefe.
Dann aus dem Riss – nach vorn gebeugt –
den Felsen links und rechts beäugt.

Zunächst ist alles hoffnungslos.
Doch dann entdeckt er, nicht sehr groß
(doch groß genug für seine Zwecke),
nen Felsvorsprung gleich um die Ecke.

Jetzt hat er nur noch eins im Sinn.
Er überlegt: „Wie komm ich hin?“

Er tastet mit der Hand sogleich
die Felswand ab in dem Bereich
und spürt ne Kante … Das ist gut.
Jetzt braucht er Kraft und ganz viel Mut.

Er fasst sie fest, hochkonzentriert,
damit er nicht den Halt verliert,
und hängt nun an der Felswand dran –
mit Fingerkraft, so gut er kann.

Dann hangelt er sich Stück für Stück,
mit viel Geschick und auch mit Glück –
erreicht den Vorsprung, zieht sich rauf
und liegt ne Weile bäuchlings drauf.

Die Brustwehrsteine sind sehr glatt,
doch Fugen er zum Greifen hat.
So steigt er langsam bis zum Rand;
rutscht ab, hängt kurz mit einer Hand …
Doch mit dem letzten Körnchen Kraft,
zieht er sich hoch und hats geschafft.

Halb rollt er und halb springt er rein
in seine Festung Königstein.

Schon schlägt die Wache laut Alarm.
Man packt ihn fest am Oberarm –
ein Fremdling ist nicht gern gesehn.

Er will berichten, will gestehn.
Man hört ihn an, doch glaubt ihm nicht
und stellt ihn vor ein Kriegsgericht.

Dort darf er nun erzählen, zeigen,
wie konnte er den Fels besteigen.
Sie gehen auch zur Stelle unten,
wo er die Möglichkeit gefunden.

Der Kommandant sieht streng nach oben.
Er ist empört, doch muss er loben,
die Sportlichkeit und diesen Willen;
er tut das freilich nur im Stillen.

Gemeinsam aber sagt man sich:
„War Glück im Unglück – sicherlich!“
Gefährlich ist er nicht, der Mann,
dem man die Freiheit geben kann.

„Du bist nun frei“, sagt das Gericht.
„Doch bleiben, nein, das darfst du nicht.
Geh dorthin, wo du hergekommen,
bevor du diesen Fels erklommen.“

Er nickt erleichtert. Welch ein Glück!
Man gibt ihm seinen Pass zurück.
Er schaut sogleich genauer hin
und wörtlich steht im Passe drin:

„Der hier vom 19. bis heute wegen unbefugten Einsteigens in Arrest gewesene Johann Friedrich Sebastian Abratzky wird nach beendigter Untersuchung über Dresden und Wilsdruff in seine Heimat nach Mahlis gewiesen.

 Festung Königstein, den 31. März 1848
Das königl. Kriegsgericht daselbst.“

Postkarte mit dem Porträt von Sebastian Abratzky

Postkarte um 1900, Sebastian Abratzky, Sammlung Festung Königstein gGmbH

Heute ist diese Aufstiegsstelle als Abratzky-Kamin bekannt. Das Klettern im Abratzky-Kamin (Schwierigkeitsgrad IV nach der sächsischen Schwierigkeitsskala) ist möglich. Allerdings sind das Übersteigen der Brustwehr und das Betreten der Festung Königstein nicht gestattet.

* Brustwehr ist bei Burgen und Festungen der obere Abschluss der Ringmauern bzw. Wehrgänge

Wir danken Jana E. Hentzschel ganz herzlich für die Zusendung dieses Gedichtes und für Ihr Einverständnis zur Veröffentlichung auf unserer Website. Weitere Gedichte, Fotos und andere Veröffentlichungen von Jana E. Hentzschel