Das Pagenbett: Volltrunken hoch über dem Abgrund
Aus den Memoiren von A. S. Manitius, einer Quelle von 1860, möchten wir euch die Geschichte vom „Pagenbett“ erzählen: Der Kurfürst Johann Georg II. hatte eine ganz besondere Vorliebe für den Königstein, auf welchem er sich stets heiter fühlte und auch andern gern Freudenfeste bereitete. Ein solches war auch das Fest, welches er den 12. August 1675 dem englischen Gesandten, William Swan, gab, den er ungemein schätzte, weil derselbige ein gar feiner Herr von magnifiquer Art und Sitte war […].
Einer von seinen Pagen war Heinrich Carl von Grunau, der seinem gnädigen Herrn ziemlich mannhaft hatte trinken helfen und sich endlich nach Mitternacht Ruhe und Kühlung wünschte, da ihn die starke Mischung aus altem Reben- und jungem Pagen-Blute in die heiße Zone versetzt hatte. So taumelte der weinselige Grunau nach einer Schießscharte hinter der Christiansburg, kroch hinaus und legte sich auf einen schmalen, kaum eine Elle breiten Felsenrand, von welchem ihn eine kleine Wendung in den fürchterlichen Abgrund gestürzt haben würde.
Doch er lag in festem Schlafe, während dessen das Fest noch bis zum Grauen des Tages dauerte […]. Als endlich das Fest zu Ende war, der Kurfürst aber sich zur Ruhe begeben wollte und seines Pagen bedurfte: so suchte man diesen vergebens, bis der dänische Junker, Knut Jarthen, der im Gefolge der Kronprinzessin war, erzählte, daß er vor einigen Stunden dem taumelnden Grunau die Thüre aus dem Vorzimmer gezeigt habe.
Nach langem vergeblichen Suchen entdeckte den seligen Schläfer auf dem Felsenbette eine Schildwache, welche […] ganz gelassen dem Offizier Meldung macht, der sogleich seinen Burschen […] beorderte, den Schläfer beim Rockzipfel festzuhalten, während er selbst in der Burg Lärm machte, man auch den Kurprinzen weckte und dieser den Kurfürsten, so daß sehr bald der ganze, nicht lange erst entschlummerte Hof wieder lebendig war.
Johann Georg gebot nun Stille in der Nähe des Schläfers und ließ Seile um ihn werfen, „wobei […] sich beide Durchlauchtige Herrschaften lange Zeit nicht an etwas so herzinniglich ergötzet, als an diesem Schlafsacke, dem trunckenen Grunau.“ Nachdem alle Gefahr beseitigt war, ließ der Kurfürst Trompeten und Pauken bringen und einen Tusch blasen.
Sobald erwachte der Schläfer langsam und meinend, er sei im Tanzsaale eingenickt, […]. Als er aber unter fortwährendem Trompeten- und Paukenlärm die Augen ganz öffnete, den Himmel über sich, den Abgrund unter sich, die Zuschauer und unter ihnen die höchsten Herrschaften um sich erblickt, aufspringen will, sich aber gebunden fühlt, kann er nur die Worte stammeln: „Kurfürstliche Durchlauchten! Kurfürstliche Durchlauchten!“ Gern hätte er vor diesen einen Fußfall gethan und den Augen der Nichtdurchlauchten sich entzogen, wenn er nicht gefangen gewesen wäre, wie die Maus im Bade.
Endlich, nachdem man ihn lange genug zappeln gelassen und sich satt gelacht hatte, zog man ihn, wie einen geschnürten Koffer, durch die Schießscharte herein und befreite ihn von seinen Rettungsbanden. […] Der Kurfürst befahl nachher, die Stelle Pagenbette zu nennen und Grunau mußte, so lange er am Hofe war, das Pagenbette, wie man so zu sagen pflegt, auf jedem Bissen Brot hören.
Das Leben danach
Einige Jahre nachher wurde von Grunau Leibpage und nach Georgs II. Tod unter Georg III. zum Kammerjunker und Tafelsteher erhoben. Unter welch’ wunderbarem Schutze sein Leben stand, erfuhr er in einer andern Gefahr, in welche ihn, als er über die Dresdner Elbbrücke ritt, sein Pferd brachte, welches scheu wurde und mit ihm über das Geländer in die Elbe setzte, aus welcher er ohne allen Schaden glücklich an das Ufer kam.
Später verheiratete er sich mit Sophie Jentsch, eines Kaufmanns Tochter in Dresden, zog sich vom Hofe zurück zu seinem Bruder, der Oberforstmeister von Grunau in Torgau, lebte dann bei seiner Schwester, […] in Staupitz, in seinen letzten Jahren aber zu Schmöllen bei Bischofswerda als Miethmann bei dem Bauer Drossler. Hier hatte er jährlich 16 Thaler Pension und einige Zuschüsse theils von seinen Verwandten, theils von einigen Freunden am Hofe, hatte aber noch 2 Bedienten aus seinem Glanzleben mit zu erhalten.
Er blieb jedoch immer lustig und reich an Späßen, besuchte im 97. Lebensjahr noch einmal sein Felsenbette auf dem Königstein, wo er von dem Kommandanten, Freiherrn von Kyau, zur Tafel geladen wurde, […] und starb zu Schmöllen den 9. Dezember 1744 im 107. Jahre. Er wurde berühmt als ein Mann von altem Schrot und Korne. Sein Vater, ein schlesischer Edelmann, hatte ein Alter von 110 Jahren erreicht.
Zwei Vorzeichnungen zum Gemälde „Das Pagenbett“ sind bis zum 2. November 2014 in der Sonderausstellung „Die Schönste im ganzen Land! – Die Festung Königstein im Spiegel der Kunst“ zu sehen.