Sonderausstellung „Jugendwerkhof Königstein 1949-1955“: Knabenchor Dresden singt FDJ-Lieder ein

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Unsere diesjährige Sonderausstellung erinnert vom 5. April bis zum 3. November daran, dass die Festung Königstein fast sechs Jahre lang einen Jugendwerkhof beherbergte. In dieser Einrichtung sollten schwer erziehbare und straffällig gewordene Jugendliche zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ erzogen werden.

Fotos, Installationen, Dokumente und Objekte konfrontieren den Besucher mit dem damaligen Alltag der Jugendlichen. Die Besucher können sich Berichte von Zeitzeugen anhören: Ehemalige Insassen, Erzieher und deren Verwandte kommen zu Wort. Auch drei Lieder sind zu hören:

Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ) sangen die ersten beiden häufig bei Appellen und Aufmärschen. Das „Werkhoflied“ ist eine Eigenkomposition vom Jugendwerkhof Königstein. Die Noten entdeckte Kuratorin Maria Pretzschner bei Recherchen im Archiv der Festung Königstein.

Wer Text und Melodie geschrieben hat, ist nicht bekannt. Es gab jedoch engagierte Erzieher, die den Insassen ihre Begeisterung für Musik weitergeben wollten. So wurde im Jugendwerkhof ein Chor gegründet, für den vermutlich ein Erzieher „Unser Werkhoflied“ verfasst hat.

Die Texte und Melodien der Lieder zielen auf die Verinnerlichung sozialistischer Werte, kollektiven Zusammenhalts und die Motivation zum Wiederaufbau und Schutz der Heimat. Musik weckt Emotionen – und das gemeinsame Singen sollte bei den Jugendlichen Begeisterung für die neuen Ideale und Ziele hervorrufen.

Da es keine Tonaufnahmen aus der Zeit des Jugendwerkhofs gibt, ließ Maria Pretzschner den „Knabenchor Dresden“ unter Leitung von Matthias Jung das „Werkhoflied“, „Das Lied der blauen Fahne“ und „Der Zukunft entgegen“ einstudieren.

Das Video zeigt einen Teil des Knabenchors Dresden bei der Aufnahme des „Werkhoflieds“.

Bei dieser Gelegenheit haben wir Matthias Jung und den Jugendlichen einige Fragen gestellt.

Wie lange wurden das „Werkhoflied“ und die beiden anderen Lieder geprobt?

Jung: Wir haben uns vor den Winterferien ca. 1 ½ Stunden mit den Liedern beschäftigt. Damit die Aufnahmen möglichst naturalistisch rüberkommen, darf es ja auch nicht „zu schön“ klingen. Bevor wir in die Aufnahme gestartet sind, haben wir noch an Aussprache und Dynamik gearbeitet.

Konnten Sie die Noten des „Werkhoflieds“ 1:1 umsetzen?

Jung: Hier musste ich nochmal Hand anlegen, denn bei den Takten stimmte so gut wie gar nichts. Wir denken aber, dass wir es jetzt genau so „eingerichtet“ haben, wie es sich der Verfasser eigentlich gedacht hatte.

Wie fühlt es sich an, solche Lieder zu singen?

Stimmen aus dem Chor:
Da wir sonst hauptsächlich kirchliche Musik singen, ist dieses Projekt mal etwas ganz anderes. Wir treten zwar manchmal auch mit Volksliedern oder Beatles-Hits auf, aber Lieder der „Freien Deutschen Jugend“ standen bei uns noch nie auf dem Plan.

Es ist schon erstaunlich, wie das gemeinsame Singen solcher Texte ein positives Gefühl der Zugehörigkeit auslöst, man fühlt sich wirklich als Teil der Gruppe. Beim „Lied der blauen Fahne“ kann man sich sogar in die Rolle eines stolzen Fahnenträgers hineinversetzen, wobei gleichzeitig eine innere Stimme mahnt, dass sich die junge DDR zur Diktatur entwickelt hat. Durch solche stellenweise schon fast „gebrüllten“ Lieder entsteht eine Gruppendynamik, der man sich kaum entziehen kann.

Könnt Ihr Euch vorstellen, dass die Jugendlichen diese Lieder damals aus Überzeugung und mit Freude gesungen haben?

In den Texten geht es um Frieden, Wiederaufbau, eine bessere Zukunft, um Gemeinschaft und – zumindest im „Werkhoflied“ – um das große Ziel der Deutschen Einheit. Diese Ziele und Ideale fanden bestimmt bei vielen Jugendlichen Zustimmung. Andererseits haben sicher auch viele junge Leute an der Richtigkeit des von der DDR eingeschlagenen Weges gezweifelt. Jugendliche, die aus politischen Gründen im Jugendwerkhof inhaftiert waren, haben wahrscheinlich nur mitgesungen, weil es so von ihnen erwartet und gefordert wurde.

Glaubt Ihr, dass es möglich ist, mit Musik die Wertvorstellungen junger Menschen zu beeinflussen?

Das ist mit Sicherheit möglich, wenn auch bei dem einen mehr, beim anderen weniger – je nachdem welche Vorgeschichte und persönliche Einstellungen der Einzelne mitbringt.

Wir danken dem Knabenchor Dresden und dem Chorleiter Matthias Jung ganz herzlich für die sehr gute Zusammenarbeit!

Die Sonderausstellung ist am 5. April ab 16:30 Uhr für Besucher geöffnet, vom 6. April bis 3. November täglich von 10 bis 18 Uhr.