Vorschau zur Sonderausstellung 2019: Der Jugendwerkhof auf dem Königstein, 1949-1955

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Von 1949 bis 1955 war auf der Festung Königstein ein Jugendwerkhof untergebracht. Hier sollten schwer erziehbare und straffällig gewordene Jugendliche zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ erzogen werden. Siebzig Jahre nach der Gründung dieser „Umerziehungseinrichtung“ erinnert eine Ausstellung auf der Festung Königstein an diese Zeit.

Wer waren die Jugendlichen, die auf der als ausbruchsicher geltenden Festung verwahrt wurden? Eine Mitarbeiterin der DDR-Jugendkommission bezeichnete sie als Jugendliche aller Kategorien. Einige waren durch die schlechten Nachkriegsverhältnisse nur leicht vom Weg abgewichen, es gab aber auch „schwerer Belastete, Jugendliche mit krankhafter Veranlagung und ausgesprochen asoziale Elemente“. Auf welche Weise pädagogisch oder sozialtherapeutisch mit dieser Mischung umzugehen sei, war unklar.

Dr. Maria Pretzschner, Museumspädagogin Festung Königstein gGmbH Kuratorin der Sonderausstellung berichtet über diese relativ kurze, aber bewegte Zeit, als der Jugendwerkhof auf dem Königstein bestand:

Die ersten Zöglinge kamen aus dem Gefängnis Waldheim auf den Königstein. Um sie vor der regulären Gefängnishaft zu bewahren, wollte man ihnen mit einer vollwertigen Berufsausbildung die Rückkehr in ein geordnetes Leben ermöglichen.

Die Anfangszeit auf dem Königstein glich einem Experiment: Die einstige Militäranlage musste gesäubert und für das Zusammenleben vieler junger Menschen eingerichtet werden. Lehrwerkstätten waren zu errichten und eine schulische Ausbildung zu ermöglichen. Gute Erzieher waren damals rar. Auf dem Königstein fanden ehemalige Wehrmachtsangehörige, die vom Krieg und von der Kriegsgefangenschaft geprägt waren, sowie junge und ungelernte Hilfserzieher eine Anstellung. Um Ordnung in den Tagesablauf der Zöglinge zu bringen, teilten sie die Jugendlichen in verschiedene Gruppen ein. Einige bekamen die ekelerregende Aufgabe, die Fäkaliengruben zu räumen, andere mussten Wasser herbeischaffen oder die Erdwälle hinter der Brüstung mit ihren Schießscharten abtragen und mit dem Aushub die unterirdischen Kasematten verfüllen. Diese körperlich schwere Arbeit erscheint im Nachhinein als sinnloser Kulturvandalismus, der später mit enormem Aufwand wieder rückgängig gemacht werden musste. Irreparabel blieb dagegen das Abtragen der katholischen Kapelle an der Königsnase durch die Jugendlichen.

Jugendliche in der Schlosseri-Lehrwerkstatt im Neuen Zeughaus

Ausbildung in der Schlosserei im Neuen Zeughaus | Archiv Festung Königstein gGmbH

Jugendliche beim Abtragen der katholischen Kapelle

Jugendliche beim Abtragen der katholischen Kapelle | Archiv Festung Königstein gGmbH

 

 

 

 

 

 

 

 

Wer sich bereits bewährt hatte, konnten  eine Ausbildung zum Schlosser, Tischler, Maurer oder Schuhmacher absolvieren. Besonders Privilegierte wurden mit dem  Einkauf von Lebensmitteln betraut oder in der Verwaltung eingesetzt. Zeitweise waren auch Mädchen im Jugendwerkhof Königstein untergebracht. Man beschäftigte sie mit einfachen Hilfsarbeiten in der Wäscherei oder der Küche.

Im Verlauf der 1950er Jahre änderte sich die Situation im Jugendwerkhof Königstein allmählich. Grund dafür war die Vereinheitlichung der Jugendwerkhöfe in der gesamten DDR. Diese hatten sich nun an der Kollektiverziehung des sowjetischen Pädagogen Anton Semjonowitsch Makarenko zu orientieren. Seitdem kam es gezielt zur ideologischen Beeinflussung der Heiminsassen. Um das pädagogische Staatsziel „die Erziehung der Jugendlichen zu tüchtigen und verantwortungsbewussten Bürgern des demokratischen Staates“ zu erreichen, erhielten die entsprechenden Einrichtungen klare Anweisungen. Sie sollten sich um die „Sicherung, Festigung und Weiterentwicklung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ bemühen, an Briefkampagnen „zur Erhaltung des Friedens“ beteiligen und helfen, die Weltfestspiele der Jugend vorzubereiten. Seit 1952 wurden Jahres-, Monats- und Wochenpläne vorgeschrieben.  Das Ministerium für Volksbildung legte auch fest, welche politischen Themen die Erzieher in ihren Gruppen zu besprechen hätten. Über die Erfüllung wachten Kommissionen aus Funktionären. In Sachsen wurden damals mehrere Jugendwerkhöfe, darunter auch Königstein, wegen der vielen Ausbrüche kritisiert. Den Grund dafür sahen die Kommissare im fehlenden Vertrauen zum pädagogischen Personal und in einer ungenügenden Betreuung der Jugendlichen während der Freizeit. Als bei einer Untersuchung des Jugendwerkhofs Königstein im Jahr 1952 unhaltbare Zustände ans Tageslicht kamen, wurde ein neuer Leiter eingesetzt. Dieser regelte das Leben im Werkhof neu. Er straffte den Tagesablauf und organisierte ihn nach militärischem Vorbild, zudem schuf er ein vielseitigeres Freizeitprogramm.

Der Tag im Jugendwerkhof Königstein begann für die Jugendlichen, die mit dem Wasserholen beauftragt waren, gegen 5 Uhr morgens. Sie schafften Waschwasser heran und stellten es für die Gruppe bereit. Trinkwasser wurde damals noch mit Elektromotor aus dem tiefen Brunnen gefördert und war knapp. Da die Förderkapazität beschränkt war, musste Brauchwasser aus den Zisternen in die Wohngemeinschaften der Alten Kaserne getragen werden. Im Winter bedeutete das, bei eisigen Temperaturen und Schnee mit zwei Eimern zur Waldzisterne zu eilen, die vereisten Stufen zur Wasserfläche der Zisterne hinab- und wieder heraufzusteigen und das Wasser, ohne dabei auszurutschen, ins Wohngebäude zu bringen. Anschließend ging es erneut zur Zisterne und zwar so lange, bis ausreichend Waschwasser für die zehn bis zwölf Jugendliche umfassende Gruppe bereit stand. Gegen 6 Uhr wurde allgemein aufgestanden. Der Tag begann für alle mit dem Frühsport, danach stand die Körper- und Stubenreinigung an und erst, wenn alles zur Zufriedenheit der Erzieher erledigt war, gab es Frühstück. Dann ging es im Gleichschritt zum Morgenappell und anschließend in die Schule oder zur Arbeit in die Werkstätten. Die Arbeit war hart und der Feierabend lockte auch nicht, denn dann standen ungeliebte Tätigkeiten, wie Stubensäuberung und -kontrollen, Appelle, Putz- und Flickstunde, Zeitungsschau und ähnliches an. Da die Zöglinge sehr unterschiedlich waren, gab es häufig Streit. Ein Grund dafür war auch, dass sie sich nie zurückziehen und allein sein konnten, sondern alle Aufgaben in der Gruppe verrichten mussten. Alles wurde im Befehlston kommandiert oder als Befehl direkt verlangt.

Im Archiv der Festung Königstein gewährt ein Fotoalbum Einblick in diese Zeit. Außerdem haben sich zwei Heimordnungen, die Wachordnung,  ein Teil des Schriftverkehrs, die Protokolle der Funktionäre sowie einige Erzieherberichte erhalten.

Mit selbst gefertigtem Schlüssel bei einer Maidemonstration, Archiv Festung Königstein gGmbH

Im Januar 1955 berichtete die Tageszeitung  „Neues Deutschland“ über den Jugendwerkhof Königstein, wobei erstmals von einer Schließung der Einrichtung die Rede war. Der Artikel betrachtete den Jugendwerkhof durchaus kritisch, insbesondere weil die Jugendlichen bei einer Einweisung eine begonnene Lehre abbrechen mussten und zum „Anlernling“ herabgestuft wurden. Die Lehrwerkstätten lobte man als sehr gut ausgestattet, wobei jedoch die Qualifikation der Ausbilder bemängelt wurde. Die Freizeitgestaltung bestehe aus „Sport, Spiel, Wandern“. Kritisiert wurde hier jedoch die mangelnde liebevolle Gestaltung, auch fehle es auf der Festung generell an „Nestwärme“. Im Februar 1955 mahnte das Ministerium für Volksbildung daher Verbesserungen in der Organisation und in der politischen Ausrichtung an, insbesondere die Qualifikation des Personals müsse besser werden. Doch dazu kam es nicht mehr. Aufgrund des vehementen Drängens des Rates des Kreises Pirna und des Königsteiner Bürgermeisters wurde der Jugendwerkhof Königstein im Frühjahr 1955 geschlossen. Einige Wochen später öffnete die Festung Königstein ihre Tore als Museum.